Bis dass der Tod uns meidet

 

Ohne Rücksicht auf sein sensibles Gemüt stürzt sich Franz Müller in eine Beziehung mit der Amerikanerin Rebecca. Nach den ersten Treffen, die heftig und utopisch schillernd geschildert sind, drängt sich Rebeccas traumatische Vergangenheit in den Raum.

Zudem mischt sich Fritz ein, der niemand Geringerer ist als der deutsche Philosoph und Schriftsteller Friedrich Nietzsche (1844–1900), zuerst als Einflüsterer von Franz, dann als eingebildeter Dritter in der stetig fataler werdenden Beziehung.

Ein furioser Roman über das Wechselspiel von Körper und Geist

Allmählich verlagert sich der Schwerpunkt dieses ungewöhnlichen, fordernden und voller ironischer Verweise gespickten Buches. Nicht mehr ein Erzähler ist es, der die Lesenden bei der Hand durch eine Geschichte führt. Vielmehr entsteht ein sprechendes Ich, das sich mehr und mehr in Befunden zu unserer Kultur auflöst und raffiniert-verspielt Identitäten befragt, zerstört und damit nebenbei einen erfrischenden Beitrag zur Gender-Debatte leistet. Die vermeintlichen Sicherheiten von Rollenbildern als Mann oder Frau erweisen sich rasch als unbrauchbar.

Ironisch-verwegenes Kulturstudium

An manchen Stellen ist das bibliophile Vexierspiel mit kulturphilosophischen Bezügen manisch, verstörend und salopp, an anderen lakonisch, zurückhaltend und von großem Beschreibungsreichtum. Dabei spielt der Philosoph Nietzsche vorder- und hintergründig eine heimlich-unheimliche Hauptrolle. Mal sind es Verbindungen zu seinem Leben, mal schleicht er sich motivisch in die Handlung ein und dann wieder dient er als Gegenüber des Erzählers, als der stets gesuchte andere schlechthin. Schließlich ist der „Unzeitgemäße“ zeitlebens ein Outlaw der Philosophie- und Literaturgeschichte und gleichzeitig posthum ein gefeierter Ideengeber für den modernen Menschen. Doch nicht der dozierend akademische Stil vom Katheder ist seine Sache, sondern das getriebene, bunte Abarbeiten an Kultur – ein Denken jenseits der Institutionen.

Ähnlich agiert Franz, der sich am Übervater Nietzsche und einigen ReferenzautorInnen geradezu wundreibt. Dabei bleibt die beständige Suche nach einem Ende von Zwiespalt, Disharmonie und Vereinzelung. Der Tod, der gemieden werden soll, ist nichts anderes als eine Variable von Verlust, Trennung und Abschied. Selten ist Philosophie so konkret, selten ist der Gegensatz von banalem Alltag, Beziehungsdilemma oder biografisch unaufgearbeitetem Altbestand so anschaulich in Kontrast zur hehren Welt der Ideen gesetzt.

Die Zeit heilt alle Wunder

'Bis dass der Tod uns meidet', ein Roman über die Suche nach Verbindung und die Angst davor die Liebe zu verpassen, eingepackt in eine facettenreiche Auseinandersetzung mit kulturellen Prägungen und den großen Fragen zu Sinn, Sein und Tod.

"Alexander Peers Buch Bis dass der Tod uns meidet macht aus Nietzsche nicht einen Theoretiker der heterosexuellen Paarliebe, auch wenn Nietzsche viele Einzelsätze zum Geschlechterkampf geprägt hat, und er dichtet ihm auch keine bourgeoisen oder antibourgeoisen Affären an. Es entfaltet die Enormität der erotischen und geistigen Liebe, die Nietzsches Schreiben implizit trägt und explizit als Motor seiner Fröhlichen Wissenschaft und seiner Philosophie des Leibes antreibt. Peer erprobt die schmalen Brücken, die Nietzsche von der Euphorie des Denkens und dem Eros des Schreibens zum konkreten Leben zieht, er ergründet die Abgründe der tiefen Traurigkeit (von der auch Heidegger spricht), die sich dazwischen aus Angedeutetem und Ungesagtem öffnen.“
- Prof. Hubert Thüring Universität Basel
 

Aus verschiedenen Kapiteln gewählte Passagen ohne Anspruch auf Kontextualität und Ausführlichkeit; es sollen vielmehr die sehr unterschiedlichen Tonlagen anschaulich werden.

----

Am Nachmittag gingen wir die Esplanade entlang. Die Wellen des Traunsees schlugen gleichmäßig und aufbegehrend gegen den steinernen Kai. Ein Schwan landete auf der Wasseroberfläche. Ich hatte gar nicht mehr damit gerechnet, breitete er doch bereits hunderte Meter vor der Landung seine Flügel aus und streckte dabei den ganzen Rumpf. Mir schien, als würde er diese Pose bis auch noch in die letzte aller Ewigkeiten halten. Als er aufsetzte, glitt er erst mit seinen platten Füßen einige Meter auf der Oberfläche des Wassers und schloss dann die mehr als zwei Meter ausgebreiteten Flügel, als würde er nicht nur die Luft vor ihm, sondern ganz Gmunden umarmen. Lange noch nach seiner Landung bewies die im Wasser gezogene Spur, die erst langsam verschwand, seinen Sinn für Ästhetik. Sie ähnelte dem weißen Schweif, mit welchem Flugzeuge den blauen Himmel teilen. Der Schwan trieb jetzt leicht auf dem Wasser. Ein Körper, frei von allem Gewicht. Sein Hals neigte und hob sich. Den Applaus dachte man sich, die Vorstellung war zu Ende. Er steckte seinen Kopf unter Wasser. Die Enten trieben nicht minder schwebend, Bojen gleich, zwischen Schiffen hin und her. Der Anblick ließ an eine Wiege denken, die gleichmäßig nach links und rechts schwenkte. Das federne Kind darin schnatterte. Rebecca hatte feuchte Augen, drehte sich weg von mir, als ich sie ansah und zu einem Wort ansetzte. Es war schwer auszumachen, ob es der Luftzug war, der ihre Augen tränen ließ. Es mochte fünfzehn Grad haben, doch vom See kamen immer wieder einzelne kalte Luftstöße. Unter meinem Wollmantel dampfte es mehr und mehr.

Außer den Enten und Schwänen säumten willkürlich ausgesetzte Pärchen die Promenade. Woran in diesen Gesichtern ließ sich ihr Talent bemessen, sich glücklich zu fühlen? Die Spaziergänger dieses Samstagnachmittags boten wenig Angriffsfläche, um Szenen vieler Ehen zu entwickeln. Umarmt und leicht gingen sie dahin. Vielleicht glückte ihnen dieses gemeinsame Leben nur einen Spaziergang lang und dann fielen sie auseinander in die jeweils eigenen Leben?

Rebecca. Die Fesselnde, die Verbindung Schaffende, die Bestrickende … sie hielt einer Schar von Kindern ein Säckchen mit Brotstücken hin, diese nahmen das Futter gierig, als hätten sie selbst Hunger, entschieden dann aber doch anders und warfen es der quakenden Herde zu.

----

Ich habe wirklich keine Ahnung, wie der Mensch besser in seinem Dasein aufgehoben sein könnte als in der Feier des Körpers. Nietzsche war vielleicht mehr Puritaner, als er ahnte, als er ebenfalls in Jenseits von Gut und Böse schrieb: „Der Unterleib ist der Grund dafür, dass der Mensch sich nicht so leicht für einen Gott hält.“ Nein, entschieden nein. Nietzsche als zu kurz gekommener Satyr, als unausgegorener, auf halbem Weg verhungerter Dionysos? Der Unzeitgemäße war in seinem eigenen Moralkorsett erschreckend zeitgemäß. Der Unterleib ist vielmehr der hauptsächliche Grund dafür, warum ich überhaupt noch an etwas Göttliches denken mag … wenn mich dieser Gott auch oft in die Hölle geschickt hat. Dennoch, der Unterleib war stets meine bessere Hälfte.

 

"Bis dass der Tod uns meidet"
im Kontext zeitgenössischer Literaturwissenschaft

Am 15. und 16. September 2016 fand auf der Universität Bydgoszcz eine Tagung zum Thema "Der Liebesroman im 21. Jahrhundert" statt. Ich freue mich, dass neben vielen aktuellen Büchern auch der Roman "Bis dass der Tod uns meidet" thematisiert wurde. Die germanistische Begutachtung ist fokussiert und nuancenreich zugleich. Sie bietet nicht nur anregende Lese- und Interpretationsspielräume für den gewiss fordernden Text, sondern stellt auch erhellende Bezüge zu verwandten Erzähltraditionen und Büchern, die sich ebenfalls erschöpfend mit dem Themenkomplex befassen, her.

Mit freundlichen Genehmigung von Autor Dr. Thomasz Waszak und Herausgeber stelle ich hier einen pre-print des Beitrags, der im Sommer 2017 im Verlag Königshausen und Neumann (ISBN 978-3-8260-6153-0) erscheint, zur Verfügung.