Rezensionen zu Ostseeatem

 

Albert Gregor für die Wiener Zeitung

(...) Es ist also keine Postkartenidylle, über die der 'Ostseeatem' streift. Daher kommt der Mythos vom geheimnisvollen Baltikum hier noch einmal ziemlich intakt davon.

Barbara Zeman für The Gap

Um dieses Buch (...) zu lesen, braucht es Atemwölkchen vor dem Mund, blaue Fingerspitzen in der Nebelsuppe und stickig-heiße Gaststuben.

Thomas Fröhlich für etcetera

(...) trotz temporärer - erschöpfter - Gemächlichkeit (nie: Gemütlichkeit) wartet eine gefühlsmäßige Achterbahnfahrt auf die potenzielle Leserschaft: was beinahe wie ein literarischer Reiseführer über das Baltikum beginnt, verlässt sogleich die ausgetretenen Pfade und führt mit sprachlicher Finesse nicht zuletzt an jene Orte, die nur in der Vorstellung existieren - bis sie bereist werden. "Mein Name ist verschwunden, weil ich die Zeit hatte, ihn zu vergessen..." Auf diesen 'Ostseeatem' sollten Sie allerdings nicht vergessen... Wärmste, pardon, eisigste Empfehlung!

Gerald Hutterer schreibt in seinem Blog

„Der Verdacht des Mädchenhandels durfte nicht ausgesprochen werden“, heißt es ziemlich am Anfang der Erzählung 'Des gefallenen Engels Feder', als bereits klar ist, dass es genau darum geht. Ein junges Mädchen vom Land ist im Dunkel der Großstadt verschwunden und ein deutscher Forscher wechselt vorübergehend die Profession, wird vom Historiker zum Detektiv. Und auch eine Feder spielt eine Rolle, eine Füllfeder nämlich, die im Fortgang der Geschichte mehrmals ihren Besitzer wechselt.

Die Feder des gefallenen Engels wird so zu einer vieldeutigen Metapher. Ich denke z.B. daran, dass sich Platon die Seele in ihrem reinen Zustand als gefiedert vorstellte. Der Verlust der Feder(n) geht bei ihm einher mit einer Erniedrigung, der Gewinn der Feder(n) mit einer Erhöhung, mit einer Vergeistigung. Diese Vorstellung wird aber sogleich überlagert von einer anderen, nämlich von der Macht, von der Ermächtigung, die mit der Schreibfeder verbunden ist. Der Historiker sinnt über solche Zusammenhänge nach: "Anmaßend ist es sicherlich zu behaupten, es gäbe so etwas wie eine europäische Geschichte. Ich denke, es handelt sich vielmehr um ein inhomogenes Bündel von Perspektiven und Interpretationen. Geschichte als die Summe der Geschichten."

Was hat das nun mit dem Mädchenhandel zu tun? Nun, der Historiker wird in seiner Rolle als Detektiv dieselbe Erfahrung machen. Wer die 'Feder' hat, ist Herr über die Interpretation, gibt die Perspektive vor. Und die ändert sich, wenn die Feder von einem zum anderen wandert. Am Schluss landet sie bei einem Mädchen, das der gefallene Engel sein könnte. Der Historiker übergibt sie ihr und sagt: „Die Geschichte, die ich schreiben wollte, war entschieden zu schwer für diese leichte, glänzende Feder. (…) Sie entglitt mir immer wieder, ohne dass ich recht anfangen konnte.“
„Wer kann schon eines anderen Geschichte schreiben?“, antwortet das Mädchen und nimmt die Feder.

Petra Öllinger für Evolver

Melancholisch. Verliebt. Reisend. Denken Sie hin und wieder über das Baltikum nach? Wir auch nicht. Diese beiden Autoren allerdings schon ... und sie lieben es!

Nicht nur in die Länder des Baltikums, auch in deren Bewohnerinnen ist der Ich-Erzähler in Alexander Peers Kurzgeschichten, Erzählungen und Grotesken häufig verliebt - oder zumindest aufgeregt über sie erregt. Atmosphärisch dicht und fernab jeglicher touristischen Verklärung kommen Peers Journalaufzeichnungen ("Über die Neigung, sich in der Ferne zu verlieben") daher. Wenn er schreibt "Außerhalb der Altstadt fängt ein Riga an, das schon gar keinen Grund darstellt, in Riga zu bleiben", da will man schon genauer wissen, warum dem so ist, und leise kitzelt die Reiselust im Bauch. Berührend, ohne im gefährlichen Erinnerungskitsch zu versinken, ist auch seine Erzählung 'Meines Großvaters Schoß'. In 'Vilnius.Nacht' wiederum durchblinzeln witzige Passagen die latente Traurigkeit der Reise, wenn der Autor trocken feststellt, daß jeder seine Kirche habe in Vilnius. Und gebeutelt von religionskritischen Gedanken folgt die Aufforderung: "Sollen sich doch die anderen einen Gott suchen, bei dem man nicht weiß, wie lange seine Gutmütigkeit anhält."

Lokalkolorit aus dem Baltikum, aber auch geschichtliche Spuren und soziale wie wirtschaftliche Schwierigkeiten der Gegenwart bilden einen inhaltlichen Bezugspunkt, die vorkommenden Personen und die Handlung, in die sie verstrickt sind, hat jedoch eine Gültigkeit jenseits von Verortung und Zeit. Die sinnliche Kraft der Erzählungen wird zum einen durch den Gegensatz von äußeren Kälte und dem Bedürfnis nach Nähe und Harmonie geschaffen, zum anderen durch eine nah an den Befindlichkeiten der Protagonisten orientierte Prosa geprägt.